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Der Fall Silber. Ein Skandal

22. Februar 2011 von H. Wittmann

Wenn die prunkvollen und ausladenden Neubaupläne am Stuttgarter Karlsplatz realisiert werden, die einen der schönsten und wenigen Plätze Stuttgarts mit einer Glas- und Betonfassade erdrücken wird, soll das > Hotel Silber in Stuttgart nach Vorstellung der Investoren der Spitzhacke zum Opfer fallen. Das Hotel Silber stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es beherbergte von 1938 bis 1945 die Staatspolizei-Leitstelle Stuttgart für Württemberg und Hohenzollern. Im September 1944 wird der Westteil des Gebäudes bis zum 2. Obergeschoss bei Luftangriffen zerstört.

Rasch wieder restauriert wurde es bereits 1946/47 zur Dienststelle der Stuttgarter Kriminalpolizei. 1984/85 wird das Gebäude vom Innenministerium übernommen. Heute erinnert lediglich eine von außen nicht direkt sichtbare Gedenktafel im Eingang an die Verbrechen, die in diesem Gebäude begangen wurden.

Jetzt ist ein Buch von Roland Ostertag erschienen, das die Geschichte des Hotels Silber in der Dorotheenstraße 10 und die dort von der Gestapo verübten Verbrechen berichtet. Das Buch ist auch ein Anlass, beispielhaft den Umgang mit ähnlichen Gedenkstätten in anderen Städten vorzustellen: die Ausstellung Topographie des Terrors, die an die Zentrale der Massenverbrechen des NS-Regimes erinnert, oder die Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum in Köln, die NS-Dokumentationszentren in München oder in Nürnberg. Nie wieder, sagen deren Besucher.

Und in Stuttgart? Da klingt das Nie wieder, etwas anders. Hier soll das Gebäude abgerissen werden. Die Befürworter des Abrisses meinen oder meinten, es sei ja keine Substanz mehr vorhanden, die an die Gestapo-Taten erinnert. Roland Ostertag zeigt, dass die Dokumente und auch das Gebäude offensichtlich eine andere Sprache sprechen und setzt sich mit Nachdruck für den Erhalt des Hotels Silber ein. Er nennt den Fall einen Skandal und meint damit das Ansinnen, diesen Ort verschwinden zu lassen. Er erhielt auch die Unterstützung der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.. deren Bundesmitgliederversammlung am 6. November 2010 einstimmig eine > Entschließung zugunsten des Hotels Silber fasste: “…Die Bundesmitgliederversammlung der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie fordert die Planungsträger auf, im Rahmen des anstehenden Bebauungsplanverfahrens, diesen historischen Ort als Zeugnis des NS-Gewaltregimes in seiner baulichen Substanz zu erhalten, in geeigneter Weise in den Gesamtkomplex einzufügen und zu einem NS-Dokumentationszentrum über die von diesem Ort ausgegangenen Verbrechen in würdiger Form zu gestalten.” Der Vorsitzende der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. > Joachim Gauck wiederholte im Gespräch mit Roland Ostertag am 16. 2. 2011 Bedenken angesichts der Abrisspläne.

In seiner unverwechselbaren Art betont Roland Ostertag, das Hotel Silber als ein Teil des Lesebuchs unserer Stadt:

“Das Hotel Silber ist einer der wenigen noch übrig gebliebenen Bausteine / Gebäudetypen, aus denen die Stadt über Jahrhunderte weg bis in das 19., ja 20. Jahrhundert bestand. Die Häuser wurden nach bestimmten Regeln, condition humaine, geplant, waren stets ähnlich hoch, meist drei-, gelegentlich vier- bis fünfgeschossig, durch Nutzung und Eigentum in Länge, Breite, Höhe ähnlicher Körnung, festgelegt. Gegliedert in Sockel, Normalgeschosse, Dach. Die Öffnungen / Materialien / Fenster nehmen mit Nuancen diese Regeln auf und erklären das Haus. W. J. Siedler: „Es hätte Hadrian nicht sonderlich wundergenommen, durch europäische Großstädte des 19. Jahrhunderts zu gehen“. Unsere Gebäude definieren sich heute nur noch durch Größe, maximalen Nutzen und Volumen, sind nur Masse, voluminierte Grundstücksgröße. Das Hotel Silber ist ein bescheidener, jedoch unverwechselbarer Baustein des Lesebuchs der Stadt.” (S. 32)

Will die Stadt Stuttgart sich diesen Verlust wirklich zumuten?

“Mit dem Hotel Silber würde nicht nur ein Stück der steinerne Stadt, des Gedächtnisses der Stadt, sondern auch die Erinnerung an das bürgerliche kulturelle Stuttgart vor 1933, die jüdische Komponente, damals wichtiger Teil des Bürgertums, ausgelöscht werden. Und nun will dieses geschwächte Bürgertum 2011 auch noch diesen Ort der Erinnerung vernichten. Nicht wie in Berlin, Köln, München, Nürnberg und anderen Städten dankbar akzeptieren und erhalten.” (S. 217)

> Initiative Gedenkort Hotel Silber

Auf diesem Blog:

> Soll das Hotel Silber wirklich abgerissen werden? oder Wie geht die Stadt Stuttgart mit ihrer Geschichte um?
> Von der Missachtung des Denkmalschutzes unserer kulturellen Vergangenheit und Zukunft

Der Fall Silber: ein Skandal
Herausgegeben von Prof. Roland Ostertag im Peter-Grohmann-Verlag.
Mit vielen Fotos und Dokumenten.
ISBN 978-3-927340-94-7, 16,90 Euro
Vorrätig in der Buchhandlung des Literaturhauses Stuttgart

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