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Jean-Paul Sartre, Das Spiel ist aus
im Schauspielhaus Stuttgart

4. April 2012 von H. Wittmann

Sartre schrieb das Drehbuch Das Spiel ist aus während der deutschen Besatzung Frankreichs. Zur Zeit wird das Theaterstück im > Schauspielhaus in Stuttgart aufgeführt.

Gekürzte Fassung der Besprechung, die 2012 im Jahrbuch der > Sartre-Gesellschaft erscheinen wird.

Auf der Bühne vor dem geschlossenen Vorhang erscheint Florian von Manteuffel mit einem bis auf die Fußknöchel reichenden schwarzen Pullover. Er sei Jean-Paul Sartre verkündet er und trägt dann eine Deutung des Satzes „Die Existenz geht der Essenz voraus…“. Später bekommt Sartre Gelegenheit, der alten Dame am Eingang zum Totenreich behilflich zu sein. Die Anmerkung des wiederauferstandenen Sartres, er sei Sartre, ein Metzger aus Chartres trägt dazu bei, was ein Theaterbesucher erfreut lobte, dass auf diese Weise die Schwere und die Tragik dem Stück sehr wohltuend genommen wird.

Der Vorhang hebt sich, und ein Bühnenkarussell setzt sich in Bewegung, das mit vielen Lichteffekten die verschiedenen Szenen nahtlos ineinander übergehen lässt. Als ein Klickern wie in einer nächtlichen Regenrinne erklingt, ist es für Eva schon zu spät, sie stirbt durch das Gift ihres Mannes. Im selben Moment wird Pierre von einem Mitverschworenen der Aufständischen erschossen. Beide erreichen zusammen den Tisch der alten Dame am Eingang des Totenreichs.


Das Spiel ist aus
Auf dem Bild: Matthias Kelle, Bijan Zamani, Michel Brandt, Till Wonka, Florian von Manteuffel
Foto: Matthias Dreher

Der Empfangstisch steht vor dem Vorhang, das Bild der Genesis-Gasse wurde bei dieser Inszenierung getilgt. Ob der Turban der alten Dame wirklich eine auf Simone de Beauvoir gemünzte Anspielung sein soll? Sartre assistiert ihr. Die Neuankömmlinge erfahren, dass sie vergiftet, bzw. erschossen wurden. Insoweit folgt das Stück hier der Vorlage. Simone de Beauvoir und ihr Lebensgefährte sind hier aber eindeutig fehl am Platze. Die vielen Verrenkungen, mit denen Sartre die beiden Gäste in das Totenreich begleitet passen nicht zum Ernst und der Nüchternheit der Aufnahmeprozedur, wie sie z.B. der Film von Jean Delannoy (1947) zeigt.

Wie kann die Stuttgarter Inszenierung geprüft oder bewertet werden? Texttreue? Szenerie? Handlung? Die schauspielerische Leistung? Der Aufenthalt von Eve und Pierre im Totenreich ist in dieser Aufführung gekürzt worden. Er spielt sich vor dem Karussell ab und wirkt in dieser Inszenierung wie eingeflickt. Der Verzicht auf ein eigenes Dekor dieser Szene, die Beibehaltung des Dekors der Oberwelt verniedlicht die Trennung zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Als Eva und Pierre sich körperlich einander nähern, ohne dass ihnen dies gelingen kann, werden beide vor die alte Dame zitiert, die ihnen die Anwendung des Paragraphen 140 verkündet. Eve und Pierre werden entlassen. Die Uhr wird zurückgestellt. Pierre darf mehrere Kugeln ausspucken und Eve nach dem Anheben des weißen Lakens über ihrem Gesicht lächeln und zur Verblüffung ihres Gatten sofort aufstehen.

Das Spiel ist aus
Auf dem Bild: Florian von Manteuffel, Nadja Stübiger, Sarah Sophia Meyer, Bijan Zamani, Till Wonka
Foto: Matthias Dreher

Beiden fällt es schwer, sich aus ihrer gewohnten Umgebung zu lösen. Pierre ruft Eva an, um ihr zu sagen, dass er noch einmal zu den Verschwörern eilen muss. Beide verpassen die Chance, innerhalb von 28 Stunden zueinanderzufinden. Das Stück illustriert Sartres Gedanken, dass die Menschen zur Freiheit verdammt sind, sie können sich immer neu entscheiden, ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als beständig eine Wahl zu treffen.

Die schauspielerische Leistung sollte ganz unabhängig von der zuweilen lauten Szenerie und der Übertreibung mancher Handlungsmomente bewertet werden. Till Wonka spielt Pierre Dumaine, den Anführer der Revolutionäre. Mimik, Gestik und die Geschwindigkeit, mit der er sich auf der Bühne bewegt, passen perfekt mit seiner Verblüffung zusammen, als er erfährt, dass ein Mitverschworener seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Eve Charlier wird von Nadja Stübiger verkörpert, die von der feinen Dame auf subtile Weise viel verliert zugunsten ihrer Revolte gegen ihren Mann André Charlier (Rainer Philippi). Das Liebespaar Eve und Pierre vermittelt die Entschlossenheit besonders Eves, in der 24-stündigen Probezeit alles richtig zu machen. Ihr Wille zeigt den Handlungsspielraum, der dem Mensch bei der Gestaltung seiner eigenen Lage bleibt. Michel Brandt in den Rollen von Renaudel, ein Revolutionär, toter Soldat und Philippe ist ein Student der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellenden Kunst Stuttgart. Er passt sich glänzend in die Aufführung ein, wie auch Boris Koneczny, der als Regent und Eves Vater ohne Kompromisse die Brutalität des namenlosen Regimes zu erkennen gibt.

Doch trotz der so gelungenen schauspielerischen Leistungen darf nach den Gründen für mancherlei Klamauk gefragt werden. Die Lautstärke passt nicht zum Drehbuch, das seine Spannung genau aus dem manchmal geradezu leisen Ablauf zieht. Ist das Stück nur mit dieser Leichtigkeit, die, das muss hier konzediert werden, die Dramatik des Stück in keiner Weise angreift, einem größeren Publikum zu vermitteln? Will der Regisseur den Zeitgeist zeigen, unterwirft er Sartres Stoff einer so starken Veränderung, um die Unausweichlichkeit der Wahl noch besser illustrieren zu können? Die fehlende szenische Trennung von Oberwelt und Unterwelt konnte nur durch die vom Regisseur vorgetragenen Einführung im vorhinein ausgebügelt werden konnte. Die Welt der Lebenden kann auch die Welt der Toten sein, so ein Durcheinander könnte das Verständnis des Stücks ein wenig tangieren. Die eigentümliche Spannung dieser Szenerie geht in der Stuttgarter Inszenierung im Krach der Gegenwart unter. Dieses Detail rührt aber nicht am Verständnis des Stücks auf der Bühne. Sartrianer mögen etwas befremdet sein, sich aber dann doch über das volle Haus und die Anziehungskraft des Sartreschen Stückes freuen.

*** Unbedingt ansehen.

Weitere Termine:
8.04.2012 FÄLLT AUS – Wegen Erkrankung
20.04.2012 19:30 – 21:30 Uhr
24.04.2012 19:30 – 21:30 Uhr
28.04.2012 19:30 – 21:30 Uhr
10.05.2012 19:30 – 21:30 Uhr
17.05.2012 19:30 – 21:30 Uhr

Heiner Wittmann, > Sartre und die Kunst

Am Samstag, 19. Mai ist im > Schauspielhaus Stuttgart die Premiere des Theaterstücks von Albert Camus, Die Gerechten angekündigt.

H. Wittmann, > Albert Camus, Kunst und Moral
H. Wittmann, > Aesthetics in Sartre and Camus. The Challenge of Freedom.

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