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(Volks-) Abstimmungen und Quoren

23. April 2011 von H. Wittmann

Die Grünen in Baden-Württemberg würden es gerne sehen, wenn im Art. 60, Absatz 5 festgeschrieben Quorum durch eine Verfassungsänderung geändert werden könnte.

Der Artikel 47 der französischen Verfassung vom 2. November 1848 sieht vor, dass wenn keiner der Kandidaten bei der Wahl des Staatspräsidenten mehr als die Hälfte der Stimmen und auch nicht mehr als wenigsten zwei Millionen Stimmen erhalten hat, die Nationalversammlung den Präsidenten mit einer absoluten Mehrheit unter den fünf Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten haben, wählt.

Im Originaltext:
“Article 47. – Les procès-verbaux des opérations électorales sont transmis immédiatement à l’Assemblée nationale, qui statue sans délai sur la validité de l’élection et proclame le président de la République. – Si aucun candidat n’a obtenu plus de la moitié des suffrages exprimés, et au moins deux millions de voix, ou si les conditions exigées par l’article 44 ne sont pas remplies, l’Assemblée nationale élit le président de la République, à la majorité absolue et au scrutin secret, parmi les cinq candidats éligibles qui ont obtenu le plus de voix.” > Deuxième République, Constitution du 4 novembre 1848

In diesem Artikel gibt es auch ein Quorum, nämlich zwei Millionen Stimmen, die eine Voraussetzung für die erfolgreiche Wahl zum Staatspräsidenten sind. Bei der Präsidentschaftswahl am 10. Dezember 1848 gab es 7 426 252 abgegeben Stimmen. Louis Napoleon Bonaparte erhält 5 534 520 Stimmen. Damit wurde er mit 74,33 % der abgegebenen Stimmen zum Präsident gewählt. Das Quorum für seine Wahl betrug 2 Millionen von 9 Millionen Wahlberechtigten, also knapp ein Viertel der Stimmen (22,2 %) muss der erfolgreiche Kandidat mindestens erhalten, um gewählt werden zu können.

> Quoren in der Politik – Wikipedia. Interessant und ausführlich.
Und hier auf das Wesentliche reduziert.

Die > Landesverfassung von Baden-Württemberg legt im Art. 60, Absatz 5 fest: “Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt.”

Es geht also nicht bloß um eine Volksbefragung, sondern um die Abstimmung über ein Gesetz.

Weiteres Beispiel für ein Quorum in Zusammenhang mit einem Gesetz: In Frankreich gibt es in der > Verfassung der V. Republik den > Artikel 49, Absatz 3. Er gibt der Regierung die Möglichkeit, zugleich mit einem Gesetzesvorschlag die Vertrauensfrage zu stellen. Innerhalb von 24 Stunden kann dann ein Misstrauensantrag gestellt werden. Bekommt dieser Antrag die absolute Mehrheit, gilt er als angenommen. Das ist auch ein vorgeschriebenes Quorum, und niemand käme auf Idee, es zu ändern. Ist der Misstrauensantrag angenommen, muss der Premierminister dem Staatspräsidenten die Demission der Regierung vorlegen. Scheitert der Misstrauensantrag, bleibt die Regierung im Amt – und der Gesetzesvorschlag gilt ohne Abstimmung als angenommen und wird Gesetz.

Wenn es eine Mehrheit im Landtag in Baden-Württemberg geben würde, die bereit wäre, das Quorum zu reduzieren, wird sie es kaum bei einer anderen Entscheidung später einmal wieder raufsetzen und einem politischen Kalkül erneut anpassen können. Das Quorum ist eine Art Sperre, mit der verhindert werden soll, dass bei einer geringen Wahlbeteiligung eine Minderheit der Mehrheit eine Entscheidung aufzwingt. Eine Senkung des Quorums soll genau diese Sperre aufheben.

Viel wichtiger ist für jeden Beobachter die Frage, warum die Bahn nicht schon längst einen Belastungstest für den neuen Tiefbahnhof durchgeführt hat und durchführen hat lassen und deren Ergebnisse als Bestandteil einer guten und nachprüfbaren Planung auf Anfrage vorlegen kann. Offenkundig gab es bisher solche Tests nicht. Eine > Schlichtung mit großem Aufwand wäre dann nicht nötig gewesen. Die Durchführung des Belastungstests wurde mit dem Schlichterspruch vereinbart.

Schließlich kommt es noch auf den Gesetzesvorschlag an, der bei der Volksabstimmung im Oktober den Wählern vorgelegt werden wird. Wird es ein “Ausstiegsgesetz” sein? Oder ein “Bestätigungs- oder Weitermachgesetz”? Oder wird der Ausstieg an Bedingungen geknüpft? “S 21 darf nicht gebaut werden, wenn am 1. November 2011 die voraussichtlichen Baukosten die Summe von 4,5 Milliarden Euro überschreiten werden.” Baukostensteigerungen sind bei jedem Bau zu erwarten. Das ist ja nicht schlimm, das ist nicht verwerflich, das ist völlig normal und überall so. Nur wenn man beinhart behauptet, es wird nicht teurer und das auch noch wirklich glaubt, ist das bedenklich. Sagt man also, 5 oder 6 Milliarden? Oder soll der Gesetzestext lauten: “Für S 21 gibt es keine finanzielle Begrenzung.” Diese Formulierungsvarianten scheinen für die Abwicklung der Volksabstimmung viel wichtiger zu sein, als die aktuelle Diskussion um eine Veränderung des Quorums, die – soviel habe ich in diesem Land hier schon gelernt – ihr Gschmäckle nie verlieren wird.

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